Musik ist allgegenwärtig. Ob bewusst oder unbewusst wahrgenommen, ist sie in den unterschiedlichsten Formen im alltäglichen Leben involviert. Sei es der Wecker, der morgens klingelt, die Hintergrundmusik in Einkaufsläden, oder ein Lied, welches im Radio gespielt wird. Musik kann den Menschen auf vielerlei Weise beeinflussen. Sie kann eine beruhigende oder antreibende Wirkung erzeugen. Musik in der Kirche stimmt den Menschen ehrfürchtig und in Bars oder Clubs eher ausgelassen. Musik kann Erinnerungen hervorrufen, Menschen in vielerlei Gefühlslagen versetzen und so die ganze emotionale Bandbreite des Individuums ansprechen. Filmmusikkomponisten nutzen diese Wirkung bei der Inszenierung von Musik für einen Film, um mithilfe der Partitur sowohl die Geschichte und die Charaktere zu formen und zu ergänzen als auch entsprechende Reaktionen auf das Wahrgenommene bei den Rezipienten hervorzurufen. Die akustische Wahrnehmung von Musik in einem Film ist jedoch vom absoluten Musikerlebnis zu unterscheiden, da die Rezeption eines Films sowohl auf auditiver als auch auf visueller Ebene erfolgt. In der Einzelbetrachtung beider Modalitäten werden akustische Reize schneller verarbeitet als visuelle. Eine genaue Beschreibung der auditiven Wahrnehmung ist jedoch schwierig, da der Hörsinn lediglich Schallwellen wahrnimmt, die weder tastbar noch zu veranschaulichen sind. Beide Modalitäten sind demnach bei der Untersuchung von Filmmusik zu berücksichtigen.
Die Dramaturgie ist die Grundlage der filmischen Gestaltung. Die Musik wird dabei zur Entfaltung der gewünschten Atmosphäre und Wirkung eingesetzt. Filmmusik ist essentieller Bestandteil des Filmwerkes, welcher unter anderem Erwartungshaltungen auslöst. „Wenn Filmmusik gut ist, dann schafft sie es, dass das kognitive Verstehen überlagert wird vom emotionalen Erleben und dass Bewegung und Rührung im Vordergrund stehen.“, beschreibt Musikwissenschaftler Tobias Marx in einem Bericht der Welt. So verspürt der Rezipient Furcht, ohne einer realen Bedrohung ausgesetzt zu sein oder empfindet Trauer, wenn der fiktionalen Figur in der Handlung etwas zustößt. Die Symbiose aus Musik und bewegten Bildern lässt den Zuschauer in eine auf der Leinwand dargestellten Welt eintauchen. Dabei sollen Gefühle und Emotionen der Handlungsfiguren vermittelt werden.
Welche Wirkung Filmmusik auf den Menschen hat, zeigt sich bereits in der Titelmelodie des Spielfilms Jaws, komponiert von John Williams. Das rhythmisch-abhackte Hai-Motiv, bestehend aus nur zwei Tönen, bestimmt den Spannungsaufbau der Handlung.
In diesem Artikel erfahren Sie:
- Was ein Film ist und die Entwicklung von Stummfilm bis zum heutigen Blockbuster
- Alle wichtigen Elemente, die Musik ausmacht
- Welche Funktion Musik in Filmen hat und wie Filmmusik eingesetzt wird
- Die Wirkung und Wahrnehmung von Filmmusik auf den Rezipienten
- Inwiefern Filmmusik einen Einfluss darauf hat, wie der Zuschauer den emotionalen Gehalt einer filmischen Narration wahrnimmt
- Die Wirkung von Filmmusik anhand einer Filmmusikanalyse des Spielfilms Django Unchained
„So simple, insistent and driving, that it seems unstoppable, like the attack of the shark”
John Williams
Das langsam immer schneller werdende Leitmotiv des weißen Hais repräsentiert die aufkommende Gefahr. John Williams kreierte mit dieser Komposition ein prägendes Motiv, das weltweit verstanden wird. Auch Disney bediente sich bereits in den Anfangszeiten des Tonfilms an der starken Wirkung von Musik. In dem Zeichentrickfilm Bambi (1942) erzählen nicht die wenigen Worte die Geschichte (< 1000 Wörter), sondern der Rezipient erfährt das Geschehen viel mehr durch die Handlung sowie die Musik.
Das Medium Film ist eine synthetische Kunstform, bei der die Gestaltungselemente der Foto-, Kamera- und Tontechnik zusammenwirken. Mithilfe wissenschaftlicher Forschung und der technischen Entwicklung gelang den Brüdern Louis und Auguste Lumidie erste Projektion von bewegten fotografischen Bildern für ein größeres Publikum. Sie legten somit den Grundstein für ein neues Medium, woraus sich mit der Zeit unterschiedliche Gattungen wie Spiel-, Dokumentar-, Kurz- oder Animationsfilm, entwickelten.
Das Medium Film ist unter anderem charakterisiert durch die apparative Darstellung der Wirklichkeit. Der Zuschauer registriert nur solche Ausschnitte einer filmischen Welt, welche die Kamera ihm erlaubt zu betrachten. Die Kamera ermöglicht dem Betrachter durch die verschiedenen Kamerapositionen eine sich ständig wechselnde Sichtweise auf die Handlung. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln verfolgt er das filmische Geschehen und betrachtet die Ereignisse aus unmittelbarer Nähe oder in der Totalen auf Distanz. Auf Grund der ständig wechselnden Perspektiven und Einstellungsgrößen, kann mithilfe der Kamera bewusst die Wahrnehmung als auch die Aufmerksamkeit der Rezipienten gelenkt werden. Bewegung, Fokussierung und Lichtgestaltung schaffen ein räumliches Bild, obgleich eine zweidimensionale Bildfläche entsteht.
Das filmische Erzählen erfolgt über die Ton- und Bildebene, das heißt sowohl auditiv als auch visuell. Wie der Film wirkt, wird vor allem durch die Art und Weise der Darstellung durch die Kamera bestimmt, nicht einzig durch das dargestellte Geschehen an sich. Dem Medium Film liegen viele unterschiedliche Gestaltungsebenen zugrunde, mit denen eine bestimmte Wirkung erzeugt werden kann. Die filmischen Mittel werden von den Betrachtern als ein Ganzes wahrgenommen. Erst eine genaue Analyse der bewegten Bilder macht deutlich, wie die einzelnen Elemente zusammen agieren. Wie die Kameraführung die Konzentration auf bestimmte Handlungen lenkt, der Schnitt der Geschichte eine gewisse Kontinuität verleiht oder die Musik die emotionale Wahrnehmung unterstützt.
Die Verwendung von Musik in einem Film
Musikalische Elemente
Die Bausteine der Musik können als die Schlüsselelemente der Musik angesehen werden. Musiklaien sind in der Lage klarerkennbare Elemente der Musik zu identifizieren. Musik kann sowohl leise oder laut, langsam oder schnell als auch regelmäßig oder unregelmäßig im Tempo sein. Rezipienten interpretieren die Parameter einer Komposition und lassen sich durch die wesentlichen Gestaltungselemente einer Filmmusik beeinflussen.
Das Tempo (tempus, lat. Zeit) beschreibt die Geschwindigkeit bzw. die Schnelligkeit eines Musikstücks. Einige Komponisten orientieren sich bei der Festlegung des Tempos an den menschlichen Pulsschlag. Dieser misst 60 bis 80 Schlagzeiten pro Minute bei einem ruhig gehenden Menschen und gilt im Fachjargon als mittleres Tempo andante (ital. gehend).
Nach einer gewissen Zeit und Erfahrung weiß der Rezipient das Tempo eines Musikwerks einer bestimmten Gefühlslage zuzuordnen. Dieser assoziiert mit langsamen Kompositionen Trauer aber auch Entspannung, während schnelle Stücke sowohl Freude als auch Spannung hervorrufen. Dieses Phänomen nutzen Künstler für die Komposition von Filmmusik, um einen veränderten Gefühlszustand einzuleiten und musikalisch zu untermalen. Ein Beispiel für einen durch das Tempo hervorgerufenen Gefühlswechsel ist eine Szene aus dem Spielfilm Fluch der Karibikheranzuziehen. Captain Jack Sparrow sitzt in einem kleinen Segelboot, während eine majestätische Melodie zu hören ist. Jack segelt an erhängten Piraten vorbei, die als Warnung dienen. Dabei verlangsamt sich die Melodie und unterstreicht die Ehrfurcht die Jack den Toten gegenüber gebietet. Das daraufhin wieder schneller werdende Tempo der Filmmusik versetzt den Zuhörer in Erregung, als wäre das Geschehen beschleunigt worden.
Metrum (metrón, griech. Maß) ist die Organisation von Rhythmen in bestimmten regelmäßigen Mustern, bestehend aus betonten und unbetonten Pulsschlägen. Diese auch sogenannten Taktschläge basieren auf Zweier- und Dreiertakte. Im Zweiertakt (gerader Takt) beginnt die Einheit mit einem betonten Schlag, worauf ein unbetonter folgt. Der Tripeltakt (ungerader Takt) leitet eine Einheit mit einem betonten Schlag ein, jedoch folgen, anders wie beim Zweiertakt, zwei unbetonte Taktschläge.
Grundlage einer solchen Ordnung ist der Takt. Ein Takt wird in Notenschrift durch Taktstriche angezeigt. Jede Einheit entspricht der im Vorfeld festgelegten Taktart des Komponisten, die jedoch innerhalb einer Melodie geändert werden kann, beispielsweise zu einem 5/8 Takt. Angezeigt wird die geltende Taktart nach dem Violinschlüssel. Ein ¾-Takt beispielsweise besagt, dass der Takt eines Musikstückes einen Drei-Takt-Rhythmus hat. Dabei ist die Zählzeitdauer des Taktes als Viertelnote geschrieben. Wird nun die Länge der Noten addiert, erhält jeder Takt einen Gesamtwert von drei Viertelnoten.
In der Filmmusik verhält sich der Umgang hinsichtlich des Einhaltens des Taktes anders als in der absoluten Musik. In einem Film ist die Interaktion von Bild und Ton essentiell, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wie auch das Tempo, leitet die Veränderung im Takt einer Filmmusik eine neue Wendung im Geschehen ein.
Der Rhythmus (rhytmós, griech. fließen) bildet mit Harmonie und Melodie ein grundlegendes Gestaltungselement einer Komposition. Ein Wiederholungsmuster, welches sich über das gesamte Musikstück erstreckt. Dieser Grundpuls bewirkt beim Rezipienten physische Erregungen, die sich durch gleichmäßiges Kopf nicken oder Fuß klopfen auszeichnen.
Die wichtigsten Aspekte des Rhythmus sind Tondauer, Tempo und Metrum. Die Tondauer bezieht sich darauf, wie lange ein Ton gespielt wird (kurz oder lang). Die Geschwindigkeit einer Komposition wird durch das Tempo (schnell oder langsam) festgelegt. Wie eben erklärt, definiert Metrum das sich wiederholende Muster von betonten und unbetonten Noten.
Dynamik (griech. dýnamis, Kraft) beschreibt den Grad der Lautstärke eines Klangs oder einer Note. Die wichtigsten dynamischen Markierungen, f f (fortissimo, sehr laut), f (forte, laut), p (piano, leise), pp (pianissimo, sehr leise), bieten Komponisten die Möglichkeit, emotionalen Ausdruck in Noten zu zeigen und die Intensität zu fördern. Die Übergangsdynamik (crescendo – lauter werdend; decrescendo – leiser werdend) verleiht dem Musikstück Kontinuität und stellt eine Verbindung zwischen lauten und leisen Tönen her. Die Verwendung von Dynamik in der Filmmusik ist daher von essentieller Bedeutung. Das Zusammenspiel zwischen leisen und lauten Tönen im Verlauf eines Musikstückes, angeglichen an den bewegten Bildern, die gezeigt werden, erzeugt eine im Vorfeld klar definierte Wirkung.
Harmonie (griech. harmonía, Ordnung) bezeichnet die Kunst, der Kombination aus Tönen unterschiedlicher Tonhöhen zu einem Akkord und dessen Zusammenklang. Der Akkord setzt sich aus mindestens drei Noten zusammen. Akkordfolgen können unterschiedliche Gefühlszustände evozieren. Diese sind jedoch subjektiv zu verstehen. In der Filmmusik werden demnach solche Harmonien verwendet, die in den vergangenen Jahren erkenntlich gemacht haben, bestimmte Emotionen beim Publikum auszulösen.
Akkorde ohne Terz – wirken unbestimmt und offener
Nicht alterierte Erweiterungen Quarte, Septime, None, etc. – klingen weich, offen und undefiniert
Alterierte Erweiterungen, wie z.B. b9 oder #11 – färben den Klang in verschiedene Richtungen
Moll mit großer Septime – Krimi/Suspense-Akkord, spannungsvoll, unerwartet
Moll mit #5 und großer Septime – Suspense, spannungsvoll, geheimnissvoll
Vermindert – klassisch, bedrängend bis bedrohlich
Übermäßig – märchenhaft, offen, positiv
Eine Melodie (griech. mélos, Lied) besteht aus einer linearen Abfolge von Noten. Sie ist ein komplexes musikalisches Konstrukt, das viele musikalische Bereiche gleichzeitig umfasst. Beteiligt ist dabei ebenfalls der Tonhöheninhalt. Die Melodie beinhaltet aber auch Tonlagen, rhythmische und metrische Elemente, strukturelle Beziehungen zwischen den verschiedenen Melodieteilen und Dynamiken.
Die Melodie ist ein grundlegendes musikalisches Element, welches eine Komposition erkennbar macht. Diese Motive können in eine größere melodische Einheit, der sogenannten Phrase, integriert werden. Phrasen sind das musikalische Äquivalent von Sätzen. Sie können durch Kommata in Liedtexte, Atemzüge (für Stimmen und Blasinstrumente), Pausen oder einfach durch die Form der Melodie geteilt werden. Phrasen neigen dazu, singbar und liedhaft zu sein und treten normalerweise in regelmäßigen Längen auf. Phrasen enden mit Kadenzen, bei denen es sich um melodische und harmonische Formeln handelt, die dem Satz eine gewisse Geschlossenheit verleihen.
Für die Filmmusik ist die Melodie von großer Relevanz. Oftmals wird eine ganz bestimmte Melodie im Verlauf des Spielfilms immer wieder aufgegriffen. Dieses sogenannte Motiv Thema, beispielsweise „He´s a Pirate“ von Fluch der Karibik, dient dem Spielfilm als Wiedererkennungsmerkmal.
Die Pause stellt eine Periode der Stille im Verlauf eines Musikstückes dar und ist ebenfalls ein wesentliches Gestaltungselement von Musik. Dabei ist es wichtig Räume zu schaffen, die es dem Zuhörer ermöglichen jede musikalische Phrase zu verarbeiten. Dadurch wird die Aufmerksamkeit aufrechterhalten und Spannung aufgebaut. Sogar innerhalb einer Phrase können Pausen mit großer Wirkung verwendet werden, um den Rhythmus der Melodie zu verstärken. Dies führt zu einer wohlklingenden Melodie mit einer dynamischen Balance zwischen musikalischer Aktivität und Ruhe. Wie auch bei den zuvor beschriebenen Gestaltungselementen muss der Komponist einer Filmmusik darauf achten, dass die gesetzten Pausen im Kontext zu den gezeigten Bildern stehen.
Tonebenen in einem Film
„Sound is 50 % of a film, sometimes 100 %“. Der Ton ist für einen Film genauso essentiell wie die bewegten Bilder. Ohne den Ton stellt der Film nur eine stumpfe Aneinanderreihung von stummen Bildern dar. Er kann Tiefe schaffen, Kontinuität erzeugen, die imaginäre Welt in Bezug auf die Fantasie der Rezipienten erweitern oder auf relevante Informationen hinweisen. Die richtige Verwendung der Tonebenen ist demnach nicht zu unterschätzen.
Während der Dreharbeiten werden Audioaufzeichnungen vor Ort aufgenommen. Diese Erstaufzeichnungen werden Originalton (O-Ton) genannt. Charakteristisch für den O-Ton ist die synchrone Aufnahme zum Bild. Mittels einer Tonangel oder einem Funkmikrophon können beispielsweise Dialoge, Geräusche der Umgebung wie zum Beispiel das Brummen der Kaffeemaschine (wenn eine Szene in einem Café gedreht wird) oder die im Hintergrund zu hörende Musik festgehalten werden. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass Störgeräusche, die nicht immer zu vermeiden sind, auf dem Originalton nicht zu hören sind.
Soundeffekte können verwendet werden, um Stimmungen oder Atmosphären in einem Film hinzuzufügen, zu verstärken oder das Gezeigte zu vertonen. Spezielle Soundeffekte sollen die Filmerfahrung der Rezipienten intensivieren, indem beispielsweise der O-Ton verstärkt wird oder in Kampfszenen die Schläge auditiv dargestellt werden, welche in der Realität so nicht zu hören sind, aber essentiell für die Wirkung auf der Leinwand ist. Viele dieser Soundeffekte werden im Verlauf der Postproduktion aus Effekt-Bibliotheken herangezogen. Sie können jedoch auch von professionellen Geräuschmachern synchron zum Bild erzeugt werden.
In der Filmproduktion bezeichnet Atmo (Atmosphäre) die akustische Hintergrundaufnahme des Klanges am Drehort ohne Bewegung oder Dialog. Dabei werden räumliche Informationen von öffentlichen Orten geliefert. Diese Informationen können in der Postproduktion verwendet werden, um nachfolgende Szenen im Vorfeld einzuleiten oder auch abrupte Wechsel zwischen zwei Szenen erkenntlich zu machen.
Ein Film kann sowohl Score als auch Source-Musik beinhalten. Unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Funktionen der musikalischen Elemente vertont ein Komponist eine speziell auf den Film und dessen beschriebenen Charaktere zugeschnittene Musik, die als Score bezeichnet wird. Diese kommt im Film immer in Form einer Off-Musik vor, da sie kein Teil der Filmhandlung darstellt (nicht-diegetische Musik). Source-Musiken sind demnach Musikstücke, die bereits veröffentlicht sind und ursprünglich nicht mit der Intention produziert wurden, als Filmmusik eingesetzt zu werden. Source-Musik kann entweder als Off-Musik oder als On-Musik in einem Film fungieren. On-Musik bedeutet, dass sowohl die Charaktere als auch die Zuschauer die Musik wahrnehmen. Die Musik findet ihre Verwendung in einem Film, indem sie eine Szene emotional auflädt. Der Rezipient kann jedoch auch über die Musik erfahren, an welchem Ort (bspw. schottische Volkslieder auf dem Dudelsack) und zu welcher Zeit (bspw. Barockmusik aus dem 18. Jahrhundert) die Handlung in einem Film spielt.
Ein Film versucht mit jeder Einstellung eine bestimmte Emotion zu vermitteln. Unterschiedliche Faktoren werden dabei sorgfältig durchdacht, um dem Zuschauer in eine bestimmte Denkweise zu versetzen. Die Verbindung von Musik und Film erfolgt über unterschiedliche Techniken. Der Einsatz folgender Techniken ist eine nuancierte Kunstform der Filmmusik, die ein sorgfältiges Verständnis darüber erfordert, welche Handlung auf dem Bildschirm zu sehen ist und welche Wichtigkeit diese Szene in der Narration einnimmt.
# Underscoring
Underscoring stellt eine Kompositionstechnik der Filmmusik dar, welche eine Szene in ihrer Handlung unterstreicht. Den Ursprung findet die Technik in den frühen 1930er Jahren der Hollywoodfilme, wobei sich Komponisten an der Verknüpfung von Musik und bewegten Bildern im Stummfilm orientierten. Bei der Underscoring-Technik liegt die Konzentration auf den kleinteiligen Gemütsbewegungen innerhalb der Narration. Spannung, Angst oder Freude sind nur ein Teil der Gefühle, die damit präzisiert werden können.
Eine Weiterführung des Underscorings ist die Akzentuierung, bezeichnet als Mickey-Mousing, von Bewegungen im Film. Die Filmmusik synchronisiert genau mit den Ereignissen, die in diesem Moment zu sehen sind. Exemplifizierend für diese Technik ist zum Beispiel die Szene in Spider Man, in der Peter Paker seine Fähigkeit entdeckt, Wände hochzuklettern. Mit jeder Berührung der Mauer ertönt ein tiefer Ton. Der Filmkomponist Danny Elfman paraphrasiert dabei das Bild mit seiner Komposition.
# Mood-Technik
Während der Film hinsichtlich der Kameraführung und der Aufnahme von besonderen Momenten vor allem eine visuelle Kunstform darstellt, darf die Bedeutung einer ergreifenden Melodie nicht unterschätzt werden. Filmkomponisten verwenden die Mood-Technik, um Emotionen und Wahrnehmung einer Narration kongruent zum Bild zu verstärken. Anders als bei der Technik des Underscorings wird die jeweilige Szene in ihrer emotionalen Gesamtheit betreffend betrachtet und mit einer expressiven Filmmusik unterlegt, die der Handlung eine ganz bestimmte Atmosphäre verleiht. Die Mood-Technik nutzt demnach die Filmmusik als Indikator dafür, wie eine Erzählung verstanden werden soll und prägt die emotionale Reaktion der Rezipienten. Die Filmmusik wirkt dabei als ein in sich stimmiges und individuell für einen Film oder eine Szene komponiertes musikalisches Gestaltungselement. Wichtig ist hierbei nochmal zu erwähnen, dass diese Untermalung durch die Filmmusik auf keine in den Bildern dargestellten Details eingeht, sondern die Szene als Ganzes betrachtet.
# Motivtechnik
Rezipienten empfinden Filmmusik unter anderem als unvergesslich, weil die Musik unverwechselbare melodische Motive aufweist, welche den Charakteren und gleichzeitig dem Film ein spezifisches Motiv zuschreibt. Ein Motiv, welches vom Zuschauer sofort verstanden wird und klar zu identifizieren ist. Filmkomponisten verwenden die Motivtechnik, um ein Gefühl von Kontinuität zu schaffen. Die Melodie, welches als Thema fungiert, ist eine wiederkehrende Komposition, um Geschichten zu erzählen und bestimmte Charaktere oder spezielle Orte darzustellen. Gleichermaßen nimmt das Publikum ein spezifisches Muster wahr, welches sie mit den im Film dargestellten Ereignissen oder fiktiven Personen, die durch diesen Teil der Filmmusik hervorgehoben werden, in Beziehung setzen
„[We can] take themes and reshape them and put them in a major key, minor key, fast, slow, up, down, inverted, attenuated and crushed, and all the permutations that you can put a scene and a musical conception through.“
John Williams
Themen können einfach oder komplex komponiert sein. Die Filmmusik kann den bewegten Bildern eine interessante Bedeutungsebene hinzuzufügen. Das in der Filmmusik dargestellte musikalische Motiv ist dabei an die jeweilige Aktion und Stimmung einer Szene anzupassen. Änderungen im Rhythmus, der Tonhöhe oder der Instrumentierung können dabei vorgenommen werden. Der Komponist steht vor der Herausforderung, jedes Stück durch seine Einzigartigkeit zu kennzeichnen und gleichzeitig anziehende Elemente für den Rezipienten zu kreieren.
Leitmotive lassen sich in diversen Filmmusiken wiederfinden. Zu dem wohl bekanntesten Motiv, welches bereits in der Einleitung erwähnt wurde, zählt das Hai-Motiv des Filmkomponisten John Williams in Jaws. Doch auch andere Leitkompositionen erreichten durch ihre außergewöhnliche und leicht identifizierbare Melodie an hohen Bekanntheitsgrad, C’era una volta il west aus Spiel mir das Lied vom Tod (Ennio Morricone), The Lord of the Rings aus Der Herr der Ringe (Howard Shore) oder auch Dr. No aus James Bond – 007 jagt Dr. No (Monty Norman).
Die erste Phase der Filmentwicklung und gleichzeitig auch die der Filmmusik ist die Stummfilmzeit. Stummfilme zeichnen sich durch die fehlende synchronisierte Tonebene aus. 1895 präsentierten die Brüder Lumière im Grand Café am Pariser Boulevard des Capucines den ersten Stummfilm vor einem großen Publikum. Der Grund für die Präsentation war zwar die Entwicklung des Films an sich, jedoch wurde die Vorführung schon damals musikalisch begleitet.
Nach Robert van der Lek lässt sich die Stummfilmzeit hinsichtlich der wechselnden Vorführstätten von Filmen in vier Perioden einteilen:
Die Varietéperiode (von 1896 bis 1900) beschreibt die Phase der Stummfilmzeit, in der die Filme ein fester Bestandteil der Theater-/Varietéprogramme darstellten. Da die Varietés ohnehin die Programmvorführungen mit ihrem hauseigenen Orchester live begleiteten, wurden die gezeigten Filme ebenfalls musikalisch untermalt. Schließlich nahm die Attraktivität von Filmen in Varietés ab und es eröffnete sich eine neue Form der Filmvorführung.
In der Peripherieperiode (von 1900 bis 1905) boten Penny Arcades, in den USA allgemein zugängliche Hallen mit Spielautomaten, der Öffentlichkeit die Möglichkeit Filme anzusehen. Diese wurden jedoch ohne oder nur sehr selten mit Musik begleitet.
Die Nickelodeonperiode (1905-1910) beschreibt eine weitere Form der Filmvorführung, die vor allem in Nordamerika ihren Erfolg fand. Die Bezeichnung Nickelodeon setzt sich aus dem Eintrittspreis (einem Nickel) und dem griechischen Wort für Theater (Odeon) zusammen. Die Nickelodeons befanden sich in großen städtischen Zentren, die in umgebauten Ladenlokalen untergebracht wurden. Sie boten Filmprogramme zwischen 10 und 30 Minuten Dauer, die von einem Klavier begleitet wurden. Anfänglich waren Nickelodeons aufgrund des niedrigen Preises für die Öffentlichkeit attraktiv. 50 Menschen konnten sich zu einem Eintrittspreis von jeweils 5 Cent einen Film ansehen. Im Gegensatz zu den Vaudevilleveranstaltungen, die bis zu 50 Cent Eintritt verlangten, wurde Unterhaltung plötzlich erschwinglich. Vorerst änderten die Nickelodeons ihre Programme zweimal pro Woche, was sich sukzessive zu einem täglichen Programmwechsel steigerte.
Musik als Filmbegleitung war jedoch ein Trend, der sich nur langsam entwickelte. So setzte sich die Etablierung erst in der Bioskopperiode (von 1910 bis 1927) richtig durch. In dieser Phase entstanden Kinotheater für die Vorführung von Filmen.
Die Erklärung für die Verwendung von Musik im Stummfilm ist anfänglich funktional. Ungeachtet dessen, dass die Filmaufnahme selbst still war, traten Störgeräusche auf, bedingt von äußeren Faktoren, wie das Rauschen des Projektors, Straßenlärm oder auch Unruhen im Publikum. Des Weiteren fand die Musik ihre Funktion in der Unterhaltung des Publikums als auch bei der Vergabe von Kontinuität. Doch auch ästhetische Gründe für die Verwendung von Musik lassen sich in der Stummfilmzeit argumentieren. Durch den Einsatz von Musik mit ihrer Melodie, Harmonie und Klangfärbung erschienen die vorerst zweidimensionalen, schwarz-weißen und stillen Bilder nun mehr realistisch und dreidimensional. Sie füllte die Bilder aus, gab ihnen räumliche Tiefe und verlieh ihnen Glaubwürdigkeit. Musik wurde schließlich für eine erfolgreiche Filmvorführung unentbehrlich.
Musik im Stummfilm setzte sich nur selten aus individuellen Partituren zusammen. Meist wurden bereits bestehende kommerzielle Werke genutzt, um den stummen Film zu begleiten. Die Funktion, dabei eine bestimmte emotionale Wirkung zu erreichen, wie es dem heutigen Tonfilm entspricht, blieb jedoch aus, da die Stücke durch den bereits erworbenen Bekanntheitsgrad eine ganz eigene Geschichte erzählten.
Mit der Zeit entstanden sogenannte Cue Sheets, welche gesammeltes Notenmaterial für jegliche Stimmungen enthielten, auf die Musiker zurückgreifen konnten. Diese Kinotheken verfügten über sowohl klassische Notenausschnitte aus bereits bekannten Opern, wie beispielsweise das Musikstück von Richard Wagner Fliegender Holländer, welches den Sturm musikalisch darstellen sollte, als auch Kompositionen von damaligen Musikern, die eigene nach den jeweiligen Stimmungen orientierte Partituren komponierten und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellten. Kurze Phrasen, einfache und bereits bekannte Strukturen, um eine größtmögliche Anpassung an die jeweiligen Filme zu gewährleisten, bildeten die Grundlage der Musik im Stummfilm. Und obwohl der mit Livemusik begleitete Stummfilm große Begeisterung bei der Bevölkerung auslöste, konnte dieser einer Schwierigkeit nicht entgegenwirken: „Seinen realitätsnahen Bildern fehlten die realen Töne“. Mit der Entwicklung der Tontechnologie entwickelte sich der Stummfilm allmählich hin zum Tonfilm.
Das erste Studio, das einen musikalischen Tonfilm produzierte, war Warner Brothers (Don Juan 1926). Die Aufzeichnung des Tons erfolgte im Vitaphone-Verfahren. Dabei wurde der Ton auf einer Schallplatte aufgenommen und gespeichert. Um die Synchronisation zwischen Bild und Ton zu gewährleisten musste während der Filmvorführung sichergestellt werden, dass sowohl Phonograph als auch Projektor gleichzeitig abgespielt wurden. 1927 wagte Warner Brothers eine weitere Veröffentlichung eines im Vitaphone-Verfahren produzierten Tonfilms. Die Verfilmung des Broadway Musicals The Jazz Singer feierte großen Erfolg und obwohl einige dem Tonfilm kritisch gegenüber standen, weckte dieser immer mehr das Interesse der Bevölkerung.
Der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm brachte jedoch auch einige Konsequenzen für die am Film mitwirkenden Personen mit sich. Die neue Technologie ermöglichte nun die Aufnahme jeglicher Partituren eines ganzen Orchesters. Durch die Installation von Tonfilmsystemen waren Live-Darbietungen nicht mehr von Nöten. Zahlreiche Mitarbeiter in Theater und Filmvorführstätten verloren ihre Tätigkeit als Musiker. Auch den Stummfilmschauspielern bereitete die Einführung des Tonfilms große Schwierigkeiten, da deren Stimmen in einigen Fällen als unangenehm empfunden wurden. Dieses Urteil beendete für manch einen Schauspieler die Karriere. Des Weiteren ergab sich aus dem Tonfilm für den Zuschauer eine veränderte Rezeptionssituation. Da die Live-Darbietung des Orchesters unterblieb und die gespielte Musik vom Zuschauer nicht mehr gesehen werden konnte, musste dieser nun entscheiden, ob die Partitur ein Teil der Handlung darstellte, beispielsweise laufende Musik aus dem Radio im Film, oder das Geschehen lediglich unterstrich, wie Musik in einer Kampfszene. Dadurch entwickelte sich eine neue Form der Filmerfahrung und wie die dargestellte Realität wahrgenommen wurde.
Schließlich setze sich der Tonfilm ab 1930 mithilfe neuer technologischer Innovationen wie dem Lichttonverfahren durch. Der Einsatz von Filmmusik war jedoch Anfangs auf die Anfangssequenz und den Abspann in einem Film beschränkt. Erst durch den Komponisten Max Steiner wurde die Musik in den Spielfilm impliziert. Er verwendete sowohl Underscoring als auch die Motivtechnik in seinen Kompositionen für den Film King-Kong. Mit der Zeit entwickelte sich die Filmmusik von einer rein funktionalen Musik zu einer künstlerischen Form, die als „dramaturgisch wirksamer Faktor der Filmwirkung“ eingesetzt wird.
Funktionen der Filmmusik
Funktionsebenen
Auge und Ohr sind zwei in ihrer Funktion zu unterscheidende Sinnesorgane der Menschen. Durch die Augen sehen die Menschen ihr dreidimensionales Umfeld mit Farbe, Licht und Konturen. Das Ohr lässt den Menschen Klänge in seiner unmittelbaren Umgebung hören. In ihrer Einzelbetrachtung liegt der Erinnerungswert von gehörten Informationen bei 20 Prozent und bei gesehenen 30 Prozent. Laut einer Untersuchung der American Audiovisual Society erhöht vor allem das Zusammenwirken beider Sinnesorgane die menschliche Wahrnehmung auf 70 Prozent. Dabei lassen sich unterschiedliche Arten der Zusammensetzung von Bild und Ton nennen, welche an die jeweiligen Filmszenen angepasst werden müssen.
Aus der bloßen Konstellation von Musik und Bild lässt sich im Film nur selten einen Mehrwert realisieren. Anders als beim Musikvideo, bei dem die reine Verbindung von Bild und Musik einen starken Stimulus erzeugt, versucht der Film eine Geschichte zu erzählen, mit der sich der Rezipient identifizieren kann. Produziert ein Regisseur also einen Film mit der Intention, den Zuschauer in eine fiktive Welt mitzunehmen, so müssen ebenfalls Geräusche vorhanden sein, um die Szene real wirken zu lassen.
Daraus ergibt sich die zweite Konstellation aus Musik, Bild und Geräusch. Der Einsatz von Filmmusik und Geräuschen muss an die jeweilige Szene angeglichen werden. Sind demnach die Geräusche essentiell für die Wirklichkeitswahrnehmung, sollte hier keine oder nur leise Musik im Hintergrund hinterlegt werden. Sind jedoch Geräusche überflüssig, so kann auf diese verzichtet werden.
Ein Film, abgesehen vom Stummfilm, implementiert immer Sprache. So ist bei dem gleichzeitigen Gebrauch von Musik, Bild und Sprache besonders darauf zu achten, dass das Gesprochene nicht von der Musik beeinträchtigt wird. Die Filmtechnik ist nicht in der Lage das selektive räumliche Hören, wie es der Wirklichkeit entspricht, nachzuahmen. Deshalb sind im Einzelnen die Musik- und Sprachebenen einander anzupassen.
Musik, Bild, Geräusch und Sprache ist eine eher komplexere Kombination. Wirken alle vier Ebenen mit gleicher Intensität, greift das Konzept der selektiven Interferenz. Dabei werden Informationen, welche über den gleichen Sinn vermittelt werden, weniger gut aufgenommen und behalten. “Lässt sich eine Überlagerung von Sprache und Musik nicht vermeiden, dann muss die Musik so einfach wie möglich gehalten werden. Ideal ist ein wechselseitiger Einsatz.“v
Pauli-Modell
Unzählige Wissenschaftler wagten bereits in der Tonfilmzeit den Versuch, die Filmmusik in ihrer vielschichtigen Funktion zu verallgemeinern. 1974 fasste Musikwissenschaftler Hansjörg Pauli die Filmmusik zu drei Funktionen zusammen: Paraphrasierung, Polarisierung und Kontrapunktierung bilden die Grundfunktionen des Pauli-Modells, welche die Bild-Ton Beziehung beeinflussen.
Paraphrasierende Filmmusik kann mit der Technik des Underscorings verglichen werden. Die Filmmusik synchronisiert sowohl Bewegungen als auch Emotionen des Charakters und verdoppelt das gezeigte Geschehen. Gefühle werden mit Hilfe der paraphrasierenden Filmmusik sichtbar und hörbar gemacht. Rezipienten sind somit in der Lage die Gefühlswelt der Charaktere nachzuempfinden.
Polarisierende Filmmusik verleiht neutralen Bildern eine im Vorfeld genau definierte Stimmung. Mithilfe der Musik kann der Rezipient bereits bei den Eröffnungsszenen mögliche Handlungsvorgänge identifizieren. Die Filmmusik konkretisiert dabei das Bild, da dieses selbst in diesem Moment keine eindeutige Aussage aufweist. „Durch Polarisieren kann eine Tür hoffnungsvoll erscheinen, eine Bergwand gefährlich, eine Wolkenformation heilig-verbrämt.“ So leitet die Filmmusik der Anfangsszene von The Shining Themen ein, die im Laufe der Filmhandlung behandelt werden. Das Zusammenspiel der gezeigten, grundsätzlich neutralen Landschaft und der unangenehmen Partitur ruft ein unsagbares Unbehagen hervor. Das schrille Heulen von Sirenen durchdringt die Landschaft und trägt zur unheimlichen Stimmung bei. Die Filmmusik lässt die Ereignisse vorausahnen. Der Zuschauer erwartet, hervorgerufen durch die eindringliche Atmosphäre, Themen der Isolation und des Wahnsinns.
Die kontrapunktierende Funktion der Filmmusik steht im Widerspruch zu der im Bildinhalt erzeugten Stimmung. Aussage von Bild und Musik stimmen nicht überein. Trotz allem ist dieser Technik ein hohes emotionales Potential zuzuschreiben, da sie „es ermöglicht, die innerste Wahrheit einer Geschichte, die tiefste Regung eines Charakters hör- und damit fühlbar zu machen.“ Ein Beispiel dafür ist eine Szene aus Das Schweigen der Lämmer. Die Bilder zeigen einen durch die Hand des Hannibal Lecters getöteten Wachmann in einem Käfig. Neben ihm steht Lecter, der einem Klavierstück von Johann Sebastian Bach aus dem Kassettenrecorder lauscht und die Melodie zu genießen scheint. Die Partitur der Goldberg-Variation unterstreicht die innere Ruhe des Psychiaters und lässt ihn in dieser Situation noch stärker und gefährlicher wirken.
Modell nach Georg Maas
Ein weiteres Modell der Funktion von Filmmusik ist das Modell nach Georg Maas. Der Musikpädagoge unterteilt die Funktion auf folgende vier Ebenen:
Filmmusik findet ihre Verwendung in der Strukturierung des Films. Sie leitet ein Geschehen ein (Titelmusik), bringt dieses zum Ende (Abspannmusik) und rundet es ab.
Filmmusik dient als Organisationselement der Erzählgestaltung. Die Aufgabe ist es unter anderem Szenen zu verklammern und der Erzählung einen roten Faden zu verleihen. Die Musik hat die Funktion Real- und Traumhandlung voneinander zu trennen.
Hierbei liegt die Funktion der Filmmusik in der inhaltlichen Gestaltung.
a) Konnotativ
Filmmusik leitet die subjektive Wahrnehmung der Rezipienten hinsichtlich der Bild-Ton Beziehung. Sie veranschaulicht und verdoppelt somit Bewegungen und übermittelt Emotionen der Charaktere. Neutrale, mit Musik hinterlegte Bilder evozieren beim Rezipienten bestimmte Stimmungen. Musik ist ebenfalls in der Lage grundlegende Emotionen zu stimulieren und somit physiologische Erregung hervorzurufen, die mit dieser Emotion einhergeht.
b) Denotativ
Filmmusik dient der sozialen, geographischen und kulturellen Referenz. Szenen können einem bestimmten Ort zugeordnet werden und gleichzeitig den kulturellen Hintergrund der Charaktere verdeutlichen. Außerdem dient die Musik zur Festlegung einer bestimmten Zeit oder Periode. Rückblenden können demnach beispielsweise durch den Musikstil unterstützt werden, der sich an die im Film dargestellte Zeit anpasst und dadurch die Rückblenden verständlicher macht. Des Weiteren stellt die Etablierung von Leitmotiven im Filmkontext eine effektive Funktion dar, um bestimmten Charakteren, Situationen oder Orten thematische Identitäten zu verleihen.
c) Reflexiv
Die Filmmusik wird selbst ein Teil der Handlung.
Die Filmmusik entspricht den Erwartungen eines bestimmten Filmgenre und dessen angesprochenen Zielgruppe.
Die Kategorisierung von Filmmusik nach Kloppenburg
Unter Berücksichtigung der entwickelten Modelle, fasst Josef Kloppenburg die Funktionen der Filmmusik zu folgenden drei Kategorisierungen zusammen:
# Syntaktische Funktion der Filmmusik
Um ein besseres Verständnis über die syntaktische Funktion von Filmmusik zu erhalten, veranschaulicht Kloppenburg die Verklammerung von Sequenzen an dem Modell von Norbert Jürgen Schneider. Schneider beschreibt eine Szene, welche aus den folgenden Einstellungen A, B und C besteht (Abb. 3). Vorzustellen ist ein junger Mann, der über einen Hof läuft (A). Dabei kommt ihm eine junge Frau entgegen (B), die ihn jedoch nicht eines Blickes würdigt und an ihm vorbei läuft. Infolge dessen geht der Mann enttäuscht weiter (C).
Die Frage, wie nun die Musik mit ihrem inhärenten Strukturbild im Film integriert wird, ist abhängig davon, welche Informationen beabsichtigt werden zu vermitteln. Die Musik wird eingesetzt, um den Übergang von einer Szene oder Einstellung zur nächsten zu organisieren. Der Wechsel der Musik am Anfang und am Ende einer Szene oder Sequenz akzentuiert die Struktur des Films und verleiht ihm Kontinuität.
Um die einzelnen Schnitte und die damit einhergehende Handlung der oben beschriebenen Szene hervorzuheben, sind mehrere Einsatzmöglichkeiten von Musik realisierbar. Ist die Intention das Kommen der jungen Frau zu betonen, so wird der erste Schnitt zwischen den Einstellungen A und B pointiert. Die Melodie der ersten Einstellung findet ihr Ende mit dem ersten Schnitt, welcher gleichzeitig die Musik für die Informationen der zweiten Einstellung eröffnet und somit die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die Frau lenkt (Abb. 4).
Eine weitere Möglichkeit ist die Betonung des enttäuschten Mannes, welcher von der Frau nicht beachtet wird. Durch die Akzentuierung des zweiten Schnitts zwischen den Einstellungen B und C, eröffnet die Musik neue Informationen und bringt die Emotionen des jungen Mannes zum Ausdruck (Abb. 5).
Durch die Akzentuierung beider Schnitte transportiert die Musik sowohl Informationen über die junge Frau als auch über die Emotionen des Mannes (Abb. 6). Ob die Betonung von jedem Schnitt als sinnvoll erachtet werden kann, ist bezüglich den spezifischen Anforderungen der Filmdramaturgie zu beurteilen.
Wie in der Darstellung Schneiders erläutert, strukturiert die Melodie das Geschehen in einem Film. Die Melodie verweist auf Orte und Charaktere und gibt den Rezipienten Zusammenhänge zu verstehen, die auf reiner visuellen Ebene nicht möglich sind zu vermitteln. In ihrer syntaktischen Funktion leitet Musik die Thematik der einzelnen Einstellungen ein, Akzentuiert diese und begleitet das Geschehen bis zum Ende.
# Expressive Funktion der Filmmusik
Filmmusik intensiviert die Wahrnehmung der Rezipienten in hohem Maße. Die durch die Musik hervorgerufene Reaktion der Rezipienten auf das Dargestellte spiegelt sich in der Identifikation und dem Nachempfinden von Gefühlen, Emotionen und Stimmungen wieder. Die expressive Funktion der Filmmusik erzeugt ein subjektives Gefühl seitens der Rezipienten. Anders als bei einer passiven Wahrnehmung von Emotionen, welche lediglich auf einer Beobachtungsebene registriert wird, wirkt die Filmmusik auf das subjektive Bewusstsein des Betrachters. Sie veranlasst den Rezipienten zu einem intensiven Erlebnis der auf dem Bildschirm zu betrachtenden Handlung.
Generell kann Filmmusik als Schlüsselelement für die emotionale Reaktion der Rezipienten verwendet werden. Der musikalische Ton des Films Chocolat dient der Expression von Freude. Die Lust am Leben eröffnet sich nicht nur in der Erzählung selbst, sondern wird von der fröhlich tänzelnden Themenmusik unterstützt. Ab 00:47:25 erfolgen Bildsequenzen, in denen einzelne Charaktere gezeigt werden, die durch die Chocolaterie neue Lebensfreude geschöpft haben. Aufgrund der Schokolade erfährt das zuvor träge Ehepaar Marceau ihre neu erweckte Leidenschaft zueinander, Armande verbringt endlich Zeit mit ihrem Enkel, Josephine Muscat beginnt von nun an ein neues Leben ohne ihren gewalttätigen Mann und der alte Guillaume Blerot nimmt allen Mut zusammen und kauft seiner heimlichen Liebe Madame Audel Schokoladenmuscheln, um ihr Herz zu gewinnen. Die inspirierende Melodie verbindet akustisch die einzelnen Geschichten miteinander, genauso wie die Schokolade die Dorfbewohner zusammenführt und ihnen die Fülle der Freiheit und den verlockenden Genuss im Leben näherbringt.
Bei der Rezeption der Serie Haus des Geldes (Staffel 2, Folge 9) erfährt der Zuschauer die Expression von Betroffenheit. Der schwer einzuschätzende und bis dahin eher unsympathisch wirkende Charakter Berlin nimmt in dieser Szene die Rolle als Heldenfigur ein. Berlin tritt der Polizei gegenüber, um die Flucht seiner Kameraden ermöglichen zu können. Er stellt sich der Polizei jedoch nicht ohne Gegenwehr und wird bei einem Schusswechsel getötet. Während der ganzen Sequenz ist das Lied Bella Ciao wahrzunehmen. Das Musikstück wurde zuvor mit einer freudigen Erfahrung, als die schwere Betonfläche des Fluchttunnels endlich durchbrochen wurde, evoziert. Die ruhige und sanfte Melodie lässt somit das Geschehen noch tragischer erscheinen.
In einer Untersuchung des Popsongs Stuck in the Middle With You in Reservoir Dogs (1992), erläutert die Musikwissenschaftlerin Kathryn Kalynak die manipulative Funktion von Musik auf die emotionale Reaktion des Betrachters.
„It has created mood, helped to establish atmosphere, aided in characterization, helped to shape the narrative, fashioned emotional response for the audience, especially in term of the representation of violence, unified the sequence, given it its rhythm. And absorbed the audience into the spectacle of the film. And it has forced us to identify with a sadistic criminal.”
Kathryn Kalynak
Die von dem Regisseur Quentin Tarantino bewusst eingesetzte Verschmelzung von divergenten Deutungen in Bild und Musik erzeugen eine intensive emotionale Formulierung der sadistischen Natur des Charakters Mister Blonde. Anstatt Mitgefühl für das Opfer zu entwickeln, ruft die Musik eine Identifikation mit dem gewaltigen Verbrecher hervor.
# Expressive Funktion der Filmmusik
Die dramaturgische Funktion von Filmmusik hilft dabei Protagonisten einer Erzählung zu charakterisieren. Einige Merkmale in der Musik rufen bestimmte Assoziationen bei den Rezipienten hervor. Durch Anbringung eines speziell für den Charakter entwickelten Motivs kann Filmmusik diesen Charakter musikalisch identifizieren und bestimmte Emotionen der Figur zu vermitteln. Das als Stilmittel eingesetzte Leitmotiv transportiert die Gefühle und begleitet die Handlung der einzelnen Charaktere.
Mit der Hervorbringung von Emotionen und Gefühlen geht auch die Erzeugung von Atmosphäre einher. Dem Film sind bezüglich der Schaffung von Atmosphäre keine Grenzen gesetzt. „Musik kann reale, surreale, phantastische, idyllische, Angst erzeugende, Glück bringende, irreale oder beklemmende Atmosphäre erzeugen.“ Wie bereits erklärt, macht die Art und Weise wie eine Partitur in einem Film erscheint es möglich, das Genre und die Dramaturgie des Films anfänglich zu erkennen. Dabei bedient sich der Film an bereits bekannten Methoden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben.
Genauso wie die Erzeugung von Emotionen ist die Herstellung von Spannung von großer Bedeutung. Die Filmmusik hilft dabei den dramaturgischen Spannungsbogen zu intensivieren. Ein langsamer auf sich aufbauender Prozess, der bei den Rezipienten Furcht auslöst. Streichinstrumente sind dabei die am häufigsten eingesetzten Instrumente. Kubrick verwendete in seinem Werk The Shining die unheilvoll klingende Tonfolge der Streichinstrumente, um die eigentlich unschuldigen Bilder des Jungen Danny auf seinem Dreirad beängstigend wirken zu lassen.
In Hitchcocks bekannter Duschszene in Psycho bewirkt die Überlagerung von schnellen dissonanten (unharmonischen) Tönen der Streicher ein beunruhigendes und ohnmächtiges Gefühl bei den Rezipienten. Der immer näherkommende Schatten hinter dem Duschvorhang wird nur von den Rezipienten wahrgenommen, nicht aber vom Opfer selbst. Mit dem Aufziehen des Vorhangs setzen die Streicher ein, welche eine musikalische Anlehnung eines schnell schlagenden Herzens darstellen. Ein schnelles Tempo und das Hinzufügen eines Crescendo regt das Herz-Kreislauf-System an und ruft eine Veränderung des Gemütszustandes der Rezipienten hervor. Mit der allmählich sich steigenden Intensität der Töne führt die Filmmusik zum Höhepunkt des Geschehens und erregt bei den Rezipienten Angst.
Wirkung und Wahrnehmung von Filmmusik
Die molekularbiologische Ebene der Wahrnehmung von Filmmusik
Musik nimmt Einfluss auf das menschliche vegetative Nervensystem. Veränderte Frequenzen von Atmung und Puls sowie spezifische Körperreaktionen während und nach der Rezeption sind Ausdruck für die Wirkung von Musik auf den Menschen. Dabei kommt es zur Ausschüttung von Neurotransmittern und Hormonen, die für die entsprechenden Reaktionen verantwortlich sind.
Bei einem Experiment zeigte sich, dass bedrohliche Musik eine zunehmend starke Hautreaktion zur Folge hat. Dieses Phänomen lässt sich auf den Fluchtmechanismus zurückführen. Die bedrohliche Filmmusik wird von dem Gehirn metaphorisch für etwas Gefährliches gehalten, vor dem der Körper geschützt werden muss. Der Mensch fängt vor Aufregung an zu schwitzen, die Bauchmuskeln werden angespannt und der Herzschlag beschleunigt sich. Die hier von der Filmmusik hervorgerufenen körperlichen Reaktionen geschehen unbewusst.
Bewusst kann der Mensch jedoch auswählen, welche Musik er hören muss, um einen bestimmten Gemütszustand hervorzurufen. Abhängig von dem Musikgenre werden unterschiedliche Hormone freigesetzt, die die beabsichtigte Stimmung auslöst. Schnelle und aggressive Melodien setzen das Hormon Adrenalin frei, während ruhige und angenehme Klänge Noradrenalin freisetzen. Des Weiteren haben Untersuchungen ergeben, dass fröhliche Musikmelodien die Konzentration des Stresshormons Cortisol verringert und gleichzeitig die Ausschüttung der schmerzlindernden Beta-Endorphine erhöht, sodass beispielsweise bei einer Operation eine geringere Dosis des Narkosemittels Propofol eingesetzt werden musste. Eine weitere Auswirkung im Zusammenhang von subjektiv selektierter Musik ist das Phänomen der Gänsehaut. Obwohl Gänsehaut auf der Haut zu spüren ist, fanden Wissenschaftler heraus, dass diese Reaktion auf biochemische Mechanismen im Gehirn zurückzuführen ist. Beobachtungen zeigten erhöhte Aktivitäten im Nucleus accumbens, Hypothalamus und ventralen Tegmentum. Diese Gehirnstrukturen sind an Reaktionen auf andere Euphorie-induzierende Stimuli wie Nahrung, Sex und Drogen beteiligt und bilden mitunter das Belohnungszentrum im Gehirn. Diese Regionen regulieren die Stimmung, indem sie die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin steuern. Musik nimmt demnach Einfluss auf neuronale Belohnungs- und Emotionssysteme, die spezifisch auf biologisch relevante Reize reagieren. Die Aktivierung dieser Bereiche stellt die Komplexität der menschlichen Wahrnehmung dar und legt nahe, dass Musik einen Nutzen für das geistige und körperliche Wohlbefinden repräsentiert.
Filmmusik aktiviert schematische Wissensstrukturen
Das Wiedererkennen von bereits bekannten Melodien oder Motiven lässt sich auf die durch Erfahrungen erworbenen, schematischen Wissensstrukturen zurückführen. Dabei erfolgt im Kurzzeitgedächtnis die sensorische Verarbeitung äußerer Reize auf die jeweiligen Sinnesmodalitäten. Bei sich wiederholenden Informationen kommt es zu einer Enkodierung und Speicherung im Langzeitgedächtnis. Dies ist ein assoziativer Verarbeitungsprozess im menschlichen Gehirn, der eine Mustererkennung von bereits Bekanntem zulässt. Bezüglich der Filmmusik erhält jeder Charakter eine spezifische Melodie beziehungsweise ein Motiv, und auch im Vorspann werden bereits musikalische Informationen zur Verarbeitung gegeben, die einen Hinweis auf die bevorstehende Handlung liefern. Während der Einführung der Motive wird der Rezipient bei einem Lernprozess mit den Organisationselementen der einzelnen Melodien vertraut gemacht.
Bei Aktivierung der Schemata generiert der Rezipient eine bestimmte Erwartungshaltung. Dieser verfügt nun über ein „innerfilmisches Netz von Assoziationen“, welche die Identifikation von Inhalten unterstützt. „Je prototypischer die Musik für ein bestimmtes Genre […] ist, desto eher löst sie stereotypische und relativ fixierte Erwartungen hinsichtlich der Narration aus.“ Es ist jedoch auch festzustellen, dass eine stimmungsinkongruente Zusammensetzung von Film und Musik weniger stark im Gedächtnis verarbeitet wird. Die Diskrepanz zwischen Musik und dem gezeigten Filminhalt hat zur Folge, dass dieser weniger gut in Erinnerung zurückgerufen werden kann, als der Inhalt hinsichtlich einer kongruenten visuellen und musikalischen Darstellung.
Audiovisuelle Wahrnehmung von Filmmusik
Die audiovisuelle Verarbeitung erfolgt über eine Wechselbeziehung zwischen Filmmusikebene und Rezipientenebene. Das Modell zur Wirkung von Filmmusik stellt die Berücksichtigung einzelner Faktoren der jeweiligen Ebenen dar.
Bezüglich der Filmmusikebene führten Scott D. Lipscomb und Roger A. Kendall ein Experiment durch, bei dem die Übereinstimmung zwischen der musikalischen Komposition und den visuellen Bildern untersucht wurde. Ausgewählt wurden dafür fünf Szenen aus einem kommerziellen Film, einschließlich der für diese Szenen komponierten Melodien. Jede einzelne der fünf Kompositionen wurde mit jeder der fünf Szenen kombiniert, sodass 25 audiovisuelle Montagen entstanden. Die Aufgabe der 16 Probanden lag darin, eigene Zusammensetzungen der jeweiligen Szenen und Melodien auszuwählen. Das Ziel sollte sein, eine harmonische Kombination auszuwählen. Die Untersuchung zeigte, dass die Mehrheit der Probanden die originale, ursprüngliche Zusammensetzung für die als am besten geeignete identifizierte. In einem zweiten Experiment belegten Lipscomb und Kendall, dass Filmmusik die inhaltliche Auffassung eines Films modifizieren kann. In einer weiteren Studie untersuchten Berthold Hoeckner et al., inwiefern Filmmusik die wahrgenommenen Gefühle der Charaktere in einem Film beeinflusst. Die Autoren fanden heraus, dass Filmmusik eine Voraussetzung für das Empfinden von Empathie seitens der Rezipienten darstellt. Die Autoren präsentierten den Probanden kurze Filmsequenzen, welche mit Thrillermusik, Melodrammusik oder keiner Musik untermalt wurden. Der präsentierte Inhalt endete mit einem Standbild, das einen neutralen Gesichtsausdruck einer Person zeigte. Den Ergebnissen der Studie zufolge verringerte Thrillermusik im Gegensatz zur Melodrammusik die Sympathie für den gezeigten Charakter. Darüber hinaus konnten die Teilnehmer die Gedanken der gezeigten Person schlechter einschätzen und bewerten. Im Hinblick auf den Inhalt evoziert melodramatische Musik das Gefühl von Liebe, während Thrillermusik für die Zuschreibung von Wut verantwortlich ist. Die Autoren weisen mit ihrer Studie darauf hin, dass Filmmusik das Empfinden, wie eine Filmfigur wahrgenommen wird, beeinflusst. Des Weiteren bietet die empirische Untersuchung der Wirkung von Filmmusik wesentliche Ergebnisse, die es für die Untersuchung der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit näher zu untersuchen gilt. Die Studie beinhaltet die Darstellung eines von der Landesmedienstelle Hannover produzierten, zehnminütigen Experimentalfilms, welcher bewusst verschiedene Aussichten der Interpretation bietet. Der Film sollte dabei den Anschein erwecken, einer offenen Szene aus einem bereits existierenden Spielfilm entnommen zu sein. Drei professionelle Filmmusikkomponisten komponierten speziell für diesen Film insgesamt fünf Melodien in vier unterschiedlichen Stilen. Die Kompositionen von Rainer Kühn (Thriller, Neutral), Eugen Thomass (Krimi, Melodram) und Peer Raben (Krimi) divergieren dabei zum einen durch das intendierte Musikgenre und den Gebrauch unterschiedlicher Instrumente und zum anderen durch den Einsatz von Motiven und der Musiklänge im Verhältnis zum Film. Jeder der 412 Probanden mit unterschiedlichem soziodemographischem Hintergrund bekam lediglich eine ausgewählte Version aus Komposition und Film zu sehen. Claudia Bullerjahn et al. belegten unter anderem, dass die Atmosphäre neutraler Bilder mit Hilfe von Musik emotional aufgeladen werden kann und somit über eine polarisierende Wirkung verfügt. Aufgrund der Ergebnisse bezüglich der Zuordnung der unterschiedlichen Stile (Krimi und Thriller zu Kriminalfilmgenre; Melodram und Neutral zu problemorientierten Filmen) kann angenommen werden, dass Musik das Filmgenre indiziert. Zusätzlich konnte herausgefunden werden, dass die Modifikation der musikalischen Elemente des gleichen Musikstücks wesentlich größere Unterschiede in der Interpretation der Handlung hervorruft als der Einsatz einer neuen Melodie. Dabei kann die Veränderung der Lautstärke grundlegend den Rezeptionsprozess der Wahrnehmung bezüglich der Emotionen der Charaktere, der Schlussfolgerung von Beziehungen zwischen den handelnden Personen oder den Spannungsbogen beeinflussen.
Zur Erklärung der Rezipientenebene werden folgend weitere Studien aufgeführt. Bullerjahn et al. zeigten bereits in ihrer Studie, dass die Musik das Genre eines Films kennzeichnet. Aus der Studie geht jedoch auch hervor, dass die Interpretation der Filmmusik von der musikalischen Erfahrung der Rezipienten abhängig ist. Erfahrene Zuschauer sind deshalb im Stande, Musik einem bestimmten Genre zuzuordnen, da sie die Musik zu bereits bekannten audiovisuellen Darstellungen einordnen können. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass das Alter der Rezipienten eine wesentliche Rolle für die Wahrnehmung von Musik darstellt, da ältere Menschen aufgrund mangelnder Erfahrungen die Filmmusik weniger bewusst perzipieren. Hinzukommend zeigten Hoeckner und Nusbaum in einer Studie unter anderem, dass expressives musikalisches Priming der visuellen Bilder sowohl die Erinnerung als auch das Verständnis über Filmgeschehnisse und die Wahrnehmung der jeweiligen Charaktere beeinflusst. Der Priming-Effekt stellt einen Lernprozess dar, bei dem ein bestimmter Reiz mit einer darauf folgenden Reaktion assoziiert wird. Des Weiteren zeigten die Autoren auf, dass die musikalische Untermalung das angeeignete semantische Gedächtnis basierend auf schematischen Wissensstrukturen unterstützend nutzt, um Inhalte aus Filmen bezüglich ihrer Wahrnehmung und Verständnis an den Rezipienten heranzutragen. Auch in der folgenden Studie konnte festgestellt werden, dass das musikalische Priming die Wahrnehmung der Filminhalte in ihrer Bedeutung beeinflusst. Die daraufhin veränderte Rezeptionshaltung der Rezipienten weist jedoch individuelle Unterschiede auf. Dies zeigten Christine Bulla und Maya Götz in ihrer Untersuchung. In drei Gruppen eingeteilt bekamen insgesamt 361 Kinder zwischen 2 und 12 Jahren aus 22 Ländern einen Spot in drei Varianten (Originalvertonung, dramatische Musik, kein Ton) präsentiert. Der Spot zeigte ein Versteckspiel zwischen einem Hasen und einem Elefanten. Während die Kinder, die die Originalvertonung sahen, freudig der Geschichte folgten, konnten bei den Kindern mit der dramatischen Melodie folgende drei Entwicklungen beobachtet werden: Die dramatische Melodie ruft bei den Kindern zum einen Nervosität hervor, da sie etwas Aufregendes erwarten. Zum anderen empfinden sie Empathie gegenüber dem Elefanten, der von dem Hasen ausgetrickst wird. Schließlich hinterfragen die Kinder den Einsatz der ausgewählten Melodie. Aus der Variante ohne Ton gehen weitere Rezeptionshaltungen hervor. Die Kinder versuchten aufzudecken, was in der Geschichte passiert ist oder verarbeiteten das Gesehene, indem sie die Gesten der Figuren imitierten. Folglich ist anzunehmen, dass die Beziehung zwischen Bild und Ton ausschlaggebend für die Interpretation einer Filmgeschichte ist. Denn „je mehr […] Bild und Ton in ihrer potenziellen Intention auseinanderdriften, desto größer werden die Freiräume für die RezepientInnen und desto weniger wird die Geschichte in der gemeinten Lesart verstanden“.
Während der Rezeption eines Films liegt die Aufmerksamkeit auf dem Handlungsverlauf des Narrativs. Der Gesamteindruck gelangt dabei in das Bewusstsein der Rezipienten. Aspekte darüber, inwiefern Filmmusik eingesetzt wird, werden dabei von Laien nicht berücksichtigt. Bullerjahn stellt die Vermutung an, dass die audiovisuelle Wahrnehmung auf unterschiedlichen Aufmerksamkeitsarten beruht. Diese stellen zum einen die geteilte Aufmerksamkeit dar, wobei der Rezipient mit wechselnder Aufmerksamkeit bezüglich beider Modalitäten handelt. Zum anderen kann die Aufmerksamkeitszuwendung einer oder beider Modalitäten automatisch, über Übung oder Erfahrung erfolgen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Berücksichtigung der Aspekte sowohl auf der Filmmusikebene als auch der Rezipientenebene erforderlich ist, um die beabsichtigte Wirkung der audiovisuellen Wahrnehmung zu erzielen. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass die Wirkung von Filmmusik individuell ist. Die Annahme einer zuverlässigen Wirkung kann hierbei nicht gewährleistet werden. Diese ist abhängig von der Medienkompetenz, dem Grad der Anteilnahme am Geschehen, der musikalischen und filmischen Erfahrung der Rezipienten einschließlich dem ästhetischen Grundsatz der audiovisuellen Gestaltung und der daraus resultierenden Wahrnehmung und Interpretation der Handlung. Sind Bild und Ton zu einer kongruenten Gesamtheit verknüpft, nimmt der Rezipient die Informationen „als kohärente und widerspruchsfreie Einheit“ wahr. Grundlegende Zusammenhänge über die Wirkung von Filmmusik sind nun gegeben. Im Folgenden gilt es nun herauszuarbeiten, inwiefern die Musik in einem Film die Emotionen der Rezipienten beeinflusst.
Die emotionale Beeinflussung durch Filmmusik
In der Verhaltensforschung konnte bezüglich des Selektionsverhaltens festgestellt werden, dass Rezipienten systematisch einen Film auswählen, um emotionale Bedürfnisse zu Befriedigen. Der Film wird dabei aus Sicht des Rezipienten in eigene Kategorien erhoben und selektiert. Um die gewünschte emotionale Wirkung in einem Film gewährleisten zu können, dient unter anderem die Filmmusik als geeignetes Gestaltungsmittel. Thomas Baumgarten et al. untersuchten in einer Studie den Einfluss visueller und musikalischer Reize auf die emotionale Wahrnehmung von 24 weiblichen Probanden. Ausgewählte expressive Bilder des International Affective Picture System und Ausschnitte aus klassischen Musikstücken sollten dabei die Emotionen Glück, Traurigkeit und Angst konstituieren. Diese wurden den Probanden für 70 Sekunden einzeln oder kongruent präsentiert. Während der Darbietung wurden psychometrische und physiologische Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten erhöhte Messwerte sowohl während der Präsentation beider Modalitäten als auch bei der reinen musikalischen Vorführung. Zusätzliche EEG-Messungen ergaben erhöhte Aktivierungen in Gehirnarealen, in denen emotionale Verarbeitungsprozesse stattfinden. Die erhobenen Daten weisen demnach daraufhin, dass affektive Bilder in ihrer Intensität mithilfe von Musik verstärkt werden können. In einer Folgestudie konnte zusätzlich belegt werden, dass die kongruente Darstellung der Stimulationsmodalitäten automatisch verstärkte emotionale Gefühle und Gedanken erzeugt und die alleinige Präsentation von affektiven Bildern lediglich eine erhöhte Aktivierung im kognitiven Teil des präfrontalen Kortex aufweist. Eine weitere Studie untersuchte, inwiefern Musik als Manipulationsmittel eingesetzt werden kann. Die alleinige Darstellung der hier verwendeten Musik und Gemälden, welche positive, neutrale Affekte sowie traurige Stimmung wiederspiegelten, konnten keine wesentlichen Stimmungsveränderungen erzeugen, wobei die Musik eine etwas stärkere Auswirkung auf die Stimmungslage der Probanden aufwies. Wie auch in den oben beschriebenen Studien konnte eine Veränderung der Stimmungslage bei den Probanden während der kongruenten Präsentation von Musik und Bild festgestellt werden. Aus den Studien geht demnach hervor, dass der kongruente Einsatz von Musik die Festlegung von unterschiedlichen Stimmungslagen in Bezug auf visuelle Darstellungen bestimmen kann und somit den audiovisuellen Gesamteindruck der Rezipienten emotional beeinflusst. Ergänzend hierzu macht die Studie von Kristi Costabile und Amanda Terman zusätzlich deutlich, dass der Einsatz von Filmmusik einen größeren Transport der filmischen Inhalte und Emotionen gewährleistet, sofern die Musik mit dem emotionalen Gehalt des Films konvergent ist.
Weitere Studien stellten eine affektive Wirkung auf die Verarbeitung von Gesichtsausdrücken fest, hervorgerufen durch musikalisches Priming. Nidhya Logeswaran et al. spielten dabei den Probanden vor der Präsentation der neutralen, traurigen und fröhlichen Gesichter, traurige und glückliche Musik vor. Das Experiment zeigte eine polarisierende Wirkung der gezeigten neutralen Gesichtszüge, welche entsprechend eher als traurig oder fröhlich beschrieben wurden. Auch in der von Jeong-Won Jeong et al. durchgeführten Studie, konnte bei einer traurigen oder glücklichen Kongruenz beider Modalitäten eine verstärkte emotionale Aktivität der jeweiligen Stimmung konstatiert werden. Inkongruente Modalitäten hingegen wiesen eine affektive Verstärkung der visuellen Darstellung auf. Die Zusammensetzung von trauriger Musik und fröhlichem Gesicht ließ das Gesicht traurig erscheinen. Entgegen wurden traurige Gesichter als glücklicher bewertet, wenn dabei fröhliche Musik zu hören war. Olivier Colligen et al. weisen mit den Ergebnissen aus der durchgeführten Studie daraufhin, dass kongruente audiovisuelle Reize eine schnellere und genauere emotionale Klassifizierung aufweisen. Wie bereits in den oben beschriebenen Studien belegt, liegt dabei der emotionale Schwerpunkt der Probanden auf der musikalischen Modalität. Zusätzlich ist im Falle einer inkongruenten Situation eine Dominanz der visuellen Darstellung in der emotionalen Verarbeitung herausgefunden worden. Darüber hinaus werden Musikstücke, welche als positiv und gefühlsbetont bewertet werden, besser im Gedächtnis verarbeitet. Folglich simplifiziert die Wechselbeziehung starker Emotionen mit der gleichzeitigen musikalischen Erfahrung den Abruf von Erinnerungen. Unter Bezugnahme der Studie von Eran Eldar et al. sind bei den 12 Probanden erhöhte Aktivitäten in der Amygdala, welche bei der Emotionsverarbeitung eine wesentliche Rolle spielt, dem Hippocampus und den lateralen präfrontalen Regionen während der Verknüpfung von affektiver Musik und einem zwölfsekündigen Ausschnitt eines kommerziellen Films beobachtet worden. Ein besonders signifikantes Ergebnis ergab die Zusammensetzung von einem Filmausschnitt und einem negativen, hier gruseligen Musikstück.
Mithilfe von Musik können Gefühle und Emotionen für den Rezipienten begreifbar und beschreibbar übermittelt werden. Das Gefühl von Anspannung könnte dabei exemplifiziert werden durch die visuelle Darstellung einer Person, die hektisch auf und ab läuft und einer untermalenden Melodie mit festem, punktiertem Rhythmus. Zur Steuerung der Emotionen wie Angst, Freude oder Trauer stehen dem Komponisten grundlegende musikalische Elemente zur Verfügung, die durch nuancierte Modifikation für eine signifikante Wahrnehmungsveränderung verantwortlich sind. Brunner beschreibt drei musikalische Bestandteile, denen bestimmte emotionale Attribute zugeschrieben werden können. Als erstes werden zeitliche Komponenten genannt. Kate Hevner fand heraus, dass ein langsames Tempo eine ruhige oder ernste Atmosphäre hervorruft, während ein schnelles Tempo einem berauschenden oder fröhlichen Gefühl zugeschrieben wird. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass feste Rhythmen ernste und fließende Rhythmen glückliche Stimmungen suggerieren. Außerdem kann die Art und Weise des Instrumentenspiels die Stimmung einer Filmszene akzentuieren. Ein Staccatospiel, eine kurze und abgehackte Spielweise, betont eine Szene stärker als ein Legatospiel (gebundene Töne). Als zweite Komponente ist die Tonhöhe zu nennen, bei der herausgefunden wurde, dass hohe Töne eine spannendere Atmosphäre oder glücklichere Emotionen implizieren als tiefe Töne, welche tendenziell als traurig eingestuft werden. Eine wachsende oder abnehmende emotionale Intensität kann demnach mithilfe von steigender und abfallender Tonhöhe vermittelt werden. Zudem konnten unterschiedlich evozierte Stimmungen in den beiden Tongeschlechtern Moll (negative Gefühle) und Dur (positive Gefühle) festgestellt werden. Die letzte Komponente impliziert die Klangfarbe. Hierbei konnte in einer Studie herausgefunden werden, dass laute Musikstücke als lebhaft beschrieben wurden, während leise Melodien eine ruhige Atmosphäre hervorriefen. Derartige musikalische Vorgehensweisen werden in Filmmusiken immer wieder von den Komponisten aufgegriffen. Ein Beispiel hierfür ist der Walkürenritt von Richard Wagner. Diese Partitur beinhaltet ein Trillern, welches nacheinander von weiteren Instrumenten weitergeführt wird. Die dabei aufgebaute Spannung ruft bei dem Zuhörer eine gewisse Erwartungshaltung hervor. Dieser bemerkt, dass bald etwas passieren muss. Schließlich setzt ein erkennbar wohlklingendes Thema ein. Dieses musikalische Muster ist auch in dem Soundtrack aus dem Spielfilm Das Boot wiederzuerkennen. Der Komponist Klaus Doldinger verknüpft Wagners Trillern mit dem Einsatz von Violinen und Hörnern. Die Melodie spitzt sich nach und nach zu bis der Höhepunkt mit dem Erklingen des Boot-Themas eingeleitet wird. Starke Gefühle und Emotionen können jedoch auch durch markante Geräusche, die in der Melodie enthalten sind, hervorgerufen werden. Das verwendete Sonarsignal „Ping“ erweckt in dem Themensong von Das Boot nicht nur bei den handelnden fiktiven Figuren ängstliche Emotionen, sondern evoziert diese auch bei den Rezipienten. Das „Ping“ offenbart die Erkenntnis einer bedrohlichen Situation. Die Musikwissenschaftlerin Linda Kolldau befasste sich intensiv mit dieser Titelmelodie und spielte diese einem ehemaligen U-Bootfahrer vor, der im Zweiten Weltkrieg gedient hat und bei dem Erklingen des Ortungsgeräuschs aufgeregt bekräftigt: „Ja so hat es geklungen. Wir hatten enorm Angst.“ Diese Aussage bestätigt, dass sowohl Filmmusik als auch die dort vorkommenden Geräusche in einem Film starke Emotionen, meist verbunden mit Erinnerungen hervorrufen können.
Eine Verallgemeinerung der Wirkungsweise von Filmmusik auf den Rezipienten ist nur schwer möglich, da die Anzahl von mehreren Faktoren bei der Wahrnehmung berücksichtigt werden muss. Im Folgenden wird anhand eines Filmbeispiels eine Filmmusikanalyse von ausgewählten Szenen aus dem Spielfilm Django Unchained durchgeführt. Die Analyse der visuellen und musikalischen Modalitäten ist eine subjektive Bewertung.
Rohe Gewalt, trockener Humor, scharfsinnige Dialoge und der präzise Einsatz von Musik sind die Markenzeichen des US-amerikanischen Regisseurs Tarantino. Die Verwendung von Musik erzeugt in seinen Filmen eine ganz eigene Atmosphäre. Sie überrascht, schockiert und erzählt zusätzlich zu den gezeigten Bildern auf musikalischer Ebene eine Geschichte. Tarantino schaffte mit seiner außergewöhnlichen Art und Weise Musik und bewegte Bilder zusammenzuführen einige Filmszenen, die in der Filmwelt ikonisch wurden. Stuck in the Middle with You ruft die Bilder der grausamen Folterszene in Reservoir Dogs auf, in der Mr. Blonde zu der diegetischen Musik tanzt, während dieser seinem Opfer ein Ohr abschneidet. Gleichermaßen ist der Spielfilm Pulp Fiction mit einer Erinnerung an den Song Misirlou und dem Überfall der Charaktere Pumpkin und Honey Bunny verknüpft. Um seine Szenen musikalisch perfekt zu untermalen greift Tarantino auf seine eigne Vinyl-Sammlung zurück und verwendet dabei Musik aus den 60er bis 80er Jahren. Durch den Genre-Mix präsentiert Tarantino meist eine inkongruente Darstellung von Bild und Musik. Die Gegenwart scheint in seinen Filmen immer gegenwärtig zu sein, wie beispielsweise der Einsatz des Rap Songs 100 Black Coffins von Rick Ross in Django Unchained zeigt. Tarantinos persönliche Musikauswahl ist eine weitere Charakteristik und ein Wiedererkennungsmerkmal seiner Filme.
"More or less the way my method works is you have got to find the opening credit sequence first. That starts it off from me. I find the personality of the piece through the music that is going to be in it... It is the rhythm of the film. Once I know I want to do something, then it is a simple matter of me diving into my record collection and finding the songs that give me the rhythm of my movie."
Quentin Tarantino
In Quentin Tarantinos Western Django Unchained mit Anlehnung an den Italowestern und an das Blaxploitationgenre setzt der Regisseur einige seiner Traditionen fort. Greifende Dialoge und die ironische Mischung aus Gewalt und Humor sorgen für Unterhaltung und gleichzeitiges Unbehagen. Tarantino nimmt in seinem Film Bezug auf die Sklaverei und den Rassismus vor dem Bürgerkrieg in Amerika. Die Geschichte erzählt von dem Sklaven Django (Jamie Foxx), dessen Wissen über den Aufenthaltsort der gesuchten Brittle-Brüder ihn mit dem deutschen Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) zusammenführt. Schultz befreit Django und macht ihn zu einem freien Mann. Mit Django an seiner Seite spüren sie gemeinsam die Brittle-Brüder und weitere Verbrecher auf. Im Gegenzug für Djangos Hilfe unterstützt Schulz ihn dabei, seine Frau Broomhilda (Kerry Washington), die in Candyland, einer Mississippi-Plantage des Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), misshandelt und ausgebeutet wird, zu retten.
Die Filmmusik in Django Unchained bietet eine Besonderheit. Tarantino verwendete nicht nur bereits bestehende Musikstücke, sondern lies erstmals Originalkompositionen für seinen Film produzieren: Freedom, 100 Black Coffins, Ancora Qui, Who Did That To You und Ode to Django (welche jedoch lediglich im Abspann zu hören ist). Der Soundtrack zum Film präsentiert demnach eine Vielzahl von musikalischen Genres, von Hiphop/Rap bis zu Western-, Folk- und Soul-Musik. Die folgenden Grafiken bieten Erkenntnis darüber, wann und in welcher Szene die Filmmusik eingesetzt wird und welche Funktionen diese dabei erfüllt.
Dass das Hauptthema Django von Luis Bacalov aus dem gleichnamigen Film Django (1966) von Franco Nero als musikalische Untermalung für die Eröffnungsszene verwendet wird, stand für Tarantino bereits während der Ideenfindung fest. Die schwermütige und gleichzeitig einprägsame Melodie unterstreicht dabei die erschütternden Bilder der humpelnden Sklaven, die hintereinander durch die Wüste getrieben werden. Mit einem in der Melodie verankertem Peitschenschlag erscheint der Titel des Spielfilms. Das Geräusch der Peitsche und die dazu in Erscheinung tretenden geschundenen Körper der Männer lassen bereits Rassismus, Unterdrückung und grausame Gewalt in der Narration vermuten. Das verwendete Motiv Django intensiviert dabei die Expression von Mitgefühl gegenüber den Sklaven. Die kraftvolle Vokalmusik erlaubt, die Geschichte von Django über den Textinhalt kennenzulernen. Der Rezipient erfährt von seiner Liebe, die für immer verloren scheint. Der Sänger singt: „[…] when there are clouds in the skies and they are grey / You may be sad but remember that love will pass away / […] After the showers the sun will be shining / […] You must go on, oh Django.”
In der darauf folgenden Szene trifft die Gruppe auf den deutschen Kopfgeldjäger Dr. King Schultz, der die „armen Teufel“ befreit und Django zu einem freien Mann macht. Tarantino kreiert mit der Figur des Dr. King Schultz einen erfrischend ironischen Charakter in einer ernsthaften Erzählung. Schultz verblüfft und überrascht mit seinem Handeln sowohl die Menschen in der fiktiven als auch in der Zuschauerwelt. Mit den Äußerungen „Und jetzt Django darfst du dir für deine Rolle ein Kostüm aussuchen“ und „Mit anderen Worten Marshall, Sie schulden mir 200 Dollar“ erklingt das Lied Lo Chiamavano King mit seinem anfangs rhythmischen Trommelschlag. In beiden Sequenzen leitet das höhnische, fast unschuldige Grinsen des Dr. King Schultz die Musik ein und intensiviert die Wirkung der darauffolgenden Perplexität der beteiligten Personen. Die Lieder Django als auch Lo Chiamavano King unterstützen die Szenen dramaturgisch. Beide Melodien beschreiben jeweils die Protagonisten Django und Dr. King Schultz. Während im Laufe der Handlung der Zuschauer immer mehr über die Vergangenheit Djangos erfährt, bleibt die Geschichte der Figur des Dr. King Schultz unbekannt. Lediglich der Inhalt von Lo Chiamavano King könnte auf die Vergangenheit des Charakters zurückgeführt werden.
Freedom von Anthony Hamilton und Elayna Boynton untermalt in dem Film eine ergreifende Rückblende des gescheiterten Fluchtversuchs von Django und seiner Frau Broomhilda. Obwohl die rhythmisch wohlklingende Melodie inkongruent zu den gezeigten Bildern ertönt, verkörpert die sanfte jedoch gequält klingende Vokalstimme die ausweglose Notlage, der sich die Sklaven in der damaligen Zeit stellen mussten. Der Wunsch nach Freiheit wird hier klar zum Ausdruck gebracht. Die beschriebene Szene wird in ihrer emotionalen Gesamtheit betreffend mithilfe der Mood-Technik unterstützt. Das Erklingen der Textzeile „I am looking for freedom“ und die gleichzeitig erscheinenden Bilder der beiden gejagten Figuren erzeugen ein erschütterndes Gefühl und die Klarheit darüber, dass die Freiheit in diesem Moment hoffnungslos verloren ist.
Mit 100 Black Coffins verwendet Tarantino bewusst eine Musik, die eine starke kontrapunktierende Funktion aufweist. Der Gesang des Rappers Rick Ross findet keine Übereinstimmung mit der Zeit, in welcher die Geschichte spielt. Das anfängliche Pfeifen in der Melodie scheint die Intrige von Django und Dr. King Schultz gegenüber Calvin Candy überspielen zu wollen. Der dabei begleitende ominöse Gesang eines Männerchors bringt eine angespannte und unheilvolle Atmosphäre zur Geltung. Gleichermaßen verdeutlicht das Lied die Entschlossenheit Djangos, Broomhilda zu befreien. Djangos Hass gegenüber den Sklaventreibern gibt Tarantino nicht nur durch die visuelle Darstellung zu erkennen. Die Textpassage „I need a hundred black coffins for a hundred bad men / A hundred black graves so I can lay they ass in“ verdeutlicht Djangos Absicht, die Taten gegen ihn, seine Frau und die anderen Sklaven vergelten zu wollen.
Tarantino besitzt die Fähigkeit Emotionen, die durch die Handlung in einer Szene aufkommen, mit dem nachträglichen Einsatz von Musik nochmals zu intensivieren. Zwischen 02:23:06 und 02:29:14 sind insgesamt drei Musikstücke zu hören, die lediglich durch wenige Sekunden voneinander getrennt sind. Nachdem Django die Sklaventreiber, die ihn und drei weitere Männer verkaufen sollten getäuscht und unter anderem durch eine Explosion getötet hat, erklingt Who Did That To You. Vorerst zeigt die Kamera die erschrockenen und überraschten Gesichter der Sklaven, die die vorherige Szenerie verwundert verfolgt hatten. Schließlich tritt Django aus dem durch die Explosion entstandenen Nebel hervor, während John Legend die Worte „Now I’m not afraid to do the Lords work / You say vengeance is his, but Imma do it first / I’m gonna handle my business in the name of the law” singt. Die harmonisch rhythmische Melodie und der gleichzeitige Soulgesang steigern die emotionale Wirkung und paraphrasieren das unermüdliche Streben Djangos danach, mit seiner Frau in Freiheit zu leben. Immer noch überrascht von den Geschehnissen lässt Tarantino dem Zuschauer jedoch keine Zeit, das Gesehene zu verarbeiten. Stattdessen erklingt im direkten Anschluss das stampfende Gitarrenspiel Too Old To Die Young. In dieser Szene sind die Laufburschen des Calvin Candy zu erkennen, die gemütlich in ihrem Holzhaus sitzen. Die Musik synchronisiert dabei die Bewegungen der Cowboys. Unerwartet steht Django in der Tür und erschießt die Männer aus Rache für den Mandingo Kämpfer Dartanyon. Entschlossen führt Django seinen Weg zur Candyland Plantage fort. Sein Ankommen auf der Plantage stoppt die Melodie abrupt und nach wenigen Sekunden ist Un Monumento von Ennio Morricone zu hören. Eine traurige wenn auch ehrwürdige Melodie, die eine emotionale Szene untermalt, in der Django den Leichnam von Dr. King Schultz entdeckt und ihm für die Freiheit dankt, die Schultz ihm geschenkt hat. Die nachfolgende Szene zeigt Broomhilda ängstlich auf dem Bett liegend, während von draußen Pferdegetrappel zu hören ist. Die allmählich lauter werdende und musikalisch steigende Melodie baut Spannung auf. Diese findet ihren Höhepunkt mit dem Satz „Ich bin´s Baby“ und dem darauf folgenden, gesungenen hohen Ton, der einem Aufschrei gleicht. Zusammenfassend durchlebt der Zuschauer in diesen 6 Minuten ein Gefühl von Überraschung, Erstaunen, Hoffnung, Anerkennung, Trauer und schließlich Erleichterung.
In der finalen Schlussszene führt Django seinen letzten Akt der Vergeltung aus. Mit einer Coolness und inneren Ruhe zündet er die Zündschnur des Dynamits an und verlässt das Anwesen des Calvin Candy, in dem dessen treuer Diener Stephen angeschossen zurückbleibt. Gelassen bleibt Django vor dem Anwesen stehen, um sich das Spektakel der Explosion anzusehen. Intensiviert wird Djangos Überlegenheit durch das ungezwungene Pfeifen in Trinity (titoli). Tarantino setzt hier eine affektive Melodie ein, die dem Charakter eine unglaubliche Klasse verleiht, die dem Zuschauer ein Grinsen entlockt. Die kontrapunktierende Musik lenkt dabei trotz der Explosion die Aufmerksamkeit auf Django, da sie die Unbeugsamkeit seines Naturells zu erkennen gibt. Django ist kein unterdrückter Sklave mehr, denn „He’s the top of the west / Always cool, he’s the best / He keeps alive with his Colt 45“.
Es konnte eine emotionale Beeinflussung durch die Verwendung von Filmmusik, auf die Art und Weise wie eine Filmfigur wahrgenommen wird, nachgewiesen werden. Demnach fördert der richtige Einsatz einer Filmmusik die emotionalen Reaktionen der Zuschauer auf die Filmcharaktere. Außerdem ist die Modifikation von Musik für die inhaltliche Auffassung und den Spannungsaufbau der Narration verantwortlich. Unter Verwendung von musikalischen Klischees kommt es zu einer Speicherung von Wissensstrukturen im Gedächtnis, welche unterstützend für das inhaltliche Verständnis eingesetzt werden und gleichzeitig bei den Rezipienten bestimmte Erwartungshaltungen auslösen können. Darüber hinaus ist Musik in der Lage körperliche Reaktionen unbewusst hervorzurufen. Filmmusik verleiht einem Film Kontinuität, lenkt und verstärkt das Gefühlsempfinden und steigert durch die richtige Platzierung und Akzentuierung der Filmschnitte die Aufmerksamkeit der Rezipienten.
Eine spezielle Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen einer visuellen Darstellung und einer musikalischen Begleitung kann jedoch nicht festgestellt werden. Die menschliche Wahrnehmung ist zu subjektiv bestimmt, als dass eine verallgemeinerte Voraussage getroffen werden kann, wann genau und in welchen Arealen im Gehirn Filmmusik speziell wirkt.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der richtige Einsatz einer Komposition das Publikum durch die Narration führt. Die Analyse von Django Unchained hat gezeigt, dass die Musik in einer Szene unterschiedliche Funktionen gleichzeitig erfüllen kann. Welche Funktionen dabei mehr oder weniger wahrgenommen und als wichtig erachtet werden, ist abhängig vom Betrachter, da die Wirkungsebene einer Filmmusik subjektiv zu verstehen ist. Unterdessen ermöglicht die visuelle und musikalische Darstellung dem Rezipienten, sich mit den Charakteren zu identifizieren, ihnen empathische Reaktionen entgegenzubringen und sich in das Geschehen hineinzuversetzen. Die Musik ist demnach ein essentielles und unverzichtbares Gestaltungselement, das einem Film erst die gewünschte Atmosphäre verleiht.
Hey Johanna,
ich finde deinen Beitrag echt super! Du hast ihn verständlich geschrieben und er war trotzdem sehr informativ.
Wäre noch schön, wenn es Quellenhinweise zu den verschiedenen Abschnitten geben würde, da ich doch gerne noch ein bisschen weiter gelesen hätte.
Liebe Grüße,
Babsi
Liebe Babsi,
es freut mich sehr, dass dir der Beitrag gefallen hat. Vielen Dank für deine Rückmeldung! Ich werde den Beitrag noch einmal bezüglich der Quellen überarbeiten.
Viele Grüße,
Johanna
Liebe Johanna,
großes Kompliment für diese Homepage! Es ist eine enorm umfangreiche und schlüssige Darstellung der Filmmusik. Als studierter Musiker und Lehrer Pädagoge bin ich schlichtweg begeistert. Besonders die Verknüpfung von Techniken mit passenden Passagen/Videos ist sehr hilfreich. Vielen Dank!
Liebe Grüße
Lieber Matt,
vielen Dank für dein tolles Feedback! Es freut mich zu hören, dass dir der Beitrag weitergeholfen hat.
Liebe Grüße,
Johanna